Guatemala 2022


Tagesbericht 23.11.


Rigo und Aurora nutzten den Vormittag, um mir von ihrer abenteuerlichen Lebensgeschichte zu erzählen. Als Jugendlicher in den 70er begann er mit dem klandestinen Aufbau einer neuen Guerilla. 1981 besetzte seine bewaffnete Gruppe als erste öffentliche Aktion eine Kaffeefinca. Mit dabei war auch seine zukünftige Frau Aurora. Sie lasen den Fincabesitzern und Vorarbeitern die Leviten, warnten diese davor, der Armee Informationen über Guerilla oder Unterstützer*innen zu geben und sägten den Rand der Erntebehälter ab, um Messbetrug bei der Abgabe zu verhindern. Enttäuscht waren sie von der Leitung, als diese den Willen zum Volksaufstand nicht erkannte und sich entsprechend zurückhielt, womit die Chance auf einen Sieg vertan wurde, Massaker zunahmen und ein langer zäher Verhandlungsprozess begann. Nach 5 Jahren in den Bergen wollten beide Kinder und bekamen erstaunlicherweise die Erlaubnis von der Leitung. Aurora ging klandestin nach Mexiko. 6 Monate später bekam Rigo in den Bergen eine verschlüsselte Radionachricht über die Geburt der ersten Tochter. Rigo konnte dann seiner Frau nach Mexiko folgen und kümmerte sich nun um die logistische Unterstützung der Kämpfenden in Guatemala: Waffenschmuggel, Überführung von verletzen Kämpfern in geheime Krankenhäuser in Mexiko, etc. Mit Kriegsende kehrte die Familie (inzwischen mit drei Töchtern) nach Guatemala zurück. Es gelang im Zuge des Landumverteilungsprozesses auf Grundlage des Friedensabkommens für seine ehemalige Guerilla-Gruppe die Finca Santa Anita zu erwerben, die mitten im ehemaligen Operationsgebiet der Gruppe liegt. Erst betätigte Rigo sich als lokaler Journalist, dann begann er den Aufbau der Kaffeekooperative, die sich leider später in zwei Gruppen spaltete. Politiker wollte er nicht werden. Aurora engagiert sich in der landesweiten Frauenbewegung. Eine Tochter berät den Landkreis, eine ist Waldbildmalerin und die dritte arbeitet mit Kindern und Jugendlichen. Rigo hat Kaffeereisen nach Chiapas, El Salvador und Nicaragua unternommen und diese auch genutzt die dortigen (ehemaligen) Aufstandsbewegungen besser kennenzulernen. Er röstet nun die eigene Kaffeemarke und wandert mit 70 Jahren noch die steilen Hänge wie vor 40 Jahren hoch, nun aber um an Maya-Zeremonien teilzunehmen. Diversität zum Erhalt der Artenviefalt ist eine andere seiner aktuellen Praxis. Außerdem träumt er davon, seine Autobiografie zu schreiben.

Rigo brachte mich noch nach Coatepeque zur Küstenstraße hinunter, wo es nun echt heiß wird. Mittags fuhr ich im Starbus recht bequem nach Guatemala-Stadt. Am Stadteingang kontrollierte die Polizei, daß das stinkende Busklo mit Ablauf auf die Strasse nicht mehr genutzt wird… Abends kam ich dann müde im bekannten Hotel im 300 Jahre alten Palacio de Jocotenango an. Schnell noch im Jazz-Café nach drei Jahren wieder Bebop-Burger essen, dann ab in die Federn und freue mich beim Einschlafen auf das morgige WLAN.