Brasilien 2024


Tag 3  (05.06.2024)

Wir treffen uns um 7:30 mit Marina und fahren zu Sítio Barba Negra, wo wir Paulo Junior und seine Eltern Paulo und Neide treffen. Chris war bei früheren Besuchen schon hier und kennt die Familie. Paulo Junior war damals unser Kontakt in der Kooperative für den kommerziellen Bereich.

Er und sein Bruder João Mateus (Agronom) haben 2019 eine Projektgruppe gegründet, um hochwertige Qualitäten zu produzieren und Wissen mit allen Produzent*innen zu teilen. Sie haben Vieles ausprobiert mit verschiedenen Anbau- und Aufbereitungsmethoden, um herauszufinden, welche Techniken die besten Qualitäten produzieren. Mittlerweile ist Paulo Junior kommerzieller Manager und Q-Grader der CLAC (Latin American and Caribbean Network of Fair Trade Small Producers and Workers) und sein Bruder Mateus bietet Röstkurse, Baristakurse und agronomische Beratung bei SENAR an.
Die beiden haben mittlerweile weniger Zeit für die Aufbereitungsexperimente, aber sie sind immernoch sehr involviert in der Arbeit mit den Eltern.
In Sítio Barba Negra kultivieren sie die Varietäten Paraiso (Caturra X Catuai Amarello), Arara (Sarchimor X Catucai) und etwas Mundo Novo.
 Sie haben einen Röstraum mit einem Probenröster von Carmomaq und einen Cuppingraum. Darüber hinaus separieren sie alle Lots und dokumentieren die Fakten.
Obwohl sie nicht die höchste Lage haben (930 m), hat ihre sorgfälltige Arbeit schon ein Microlot mit 87 Punkte produziert, als die zwei Brüder noch viel Zeit in das Projekt investiert haben. Sie schaffen es aber immernoch sehr gute Qualitäten zu produzieren, zwischen 83 und 85 Punkten!
Als sie mit den Spezialitätenkaffees anfingen, haben sie noch mit einer Popcorn Maschine die Muster geröstet. Irgendwann bauten sie dann noch einen improvisierten Trommelröster aus einer Öldose, bis sie dann zu dem Carmocaq gekommen sind.
Im Cuppingraum an der Wand hängt noch ein wunderschönes, mit Buntstiften gemahltes Aromarad.
Auf den Trocknungsflächen (Beton-Pátio, Trocknungsbetten und Plane auf dem Gras) werden verschiedene Lots getrennt aufbereitet und die Methoden protokolliert. Später werden sie verkostet, um zu verstehen wie die Prozesse verbessert werden können. Sie sind z.B. zu dem Schluss gekommen, dass die Trocknung auf einer Plane auf dem Gras eine bessere Tasse ergibt. Zumindest für die Lage ihres Sítio und dessen Varietäten.

Ihr Kultivierungsstil: 


Die Reihen, in denen sie pflanzen, sind so angeordnet, dass ca. 4000 Pflanzen pro Hektar Platz haben. Beeindruckend ist, dass die Art wie sie kultivieren und verarbeiten eine hohe Produktion pro Person erreicht. Die Ernte erfolgt auch semimechanisiert. Sie ernten wenn 80%-85% der Früchte reif sind. Da die semimechanisierte Ernte so gut wie alle Früchte vom Baum holt, legen sie Planen aus, gehen mit den Maozinhas (den Erntemaschinen, die rüttelnden Fingern gleichen) rein und fangen die Früchte und Blätter auf. Somit kann eine Person 20-30 Latas (Körbe (60l)) ernten. Mit der manuellen Ernte sind es 6/7 Latas. 
Das bedeutet zwar "Stress" für die Pflanze, weil sie heftig durchgeschüttelt wird und auch Blätter und teilweise Äste verliert, aber trotzdem scheinen die Pflanzen im Allgemeinen einen guten Gesundheitszustand zu haben.



Die Pflanzen leiden teilweise unter Befall von Bicho Mineiro oder Ferrugem (Roja) und viele Früchte sind bereits am Baum getrocknet weil es vor Kurzem geregnet hat (in der eigentlich trockenen Phase des Jahres). Das hat die Blüte und dementsprechend die vorzeitige Reife provoziert. Sie behandeln den Rost mit Banho de Cobre, also Kupferduschen.



Bäume (Avocado, Mango, Banane, Palmeiras und mehr) stabilisieren einerseits den relativ steilen Hang, zum anderen spenden sie Schatten spenden produzieren Biomasse. So ist die Familie in der Lage mit kaum externer Arbeitskraft gute Quantitäten sehr hochwertigen Kaffees zu kultivieren, zu ernten und aufzubereiten. Die Kirschen werden nach der Trocknung gedroschen. Dieser rohe, noch unsortierte, Rohkaffee heisst Bica Corrida.
 
Früher waren 100 Sack Bica Corrida so viel wert wie 10ha Land (zu Grossvaterzeiten). Jetzt sind 100Sack Bica Corrida ungefähr 0.8ha wert. Der aktuelle Preis für 60kg Bica Corrida sind 1400RS (weil der NY-Börsen-Preis auch ungewöhnlich hoch ist im Moment)
. Eine Besitzurkunde über Land kann hier erst ab 3ha ausgestellt werden. Ofiziell wird Land in der Einheit Alqueira (2,4ha) gerechnet.
Vor ca. 150 Jahren war die ganze Gegend eine riesige 500ha-Farm. Die großen Familien (damals mit 10 oder mehr Kindern) und der Verkauf sorgte aber dafür, dass die Parzellen kleiner und kleiner wurden. Nun sind die meisten Sítios ca. 4,5 ha groß.


Auf dem Sitio ist auch eine kleine Wetterstation angebracht, die Niederschläge, Wind, Feuchtigkeit und Temperaturen in Echtzeit aufnimmt und visuelle Verlaufskurven produziert. Ähnlich wie Röstkurven, aber für die Umweltbedingungen. Das hilft, z.B. die besten Zeitpunkte für die Applikation von Kupferduschen gegen Roya zu wählen oder erhöht das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Regen in der Trockenzeit/Blüte und überreifen Früchten.
Diese ist einer von 5 Stationen die die Kooperative vor Kurzem an strategischen Punkten angebracht hat.
Es ist richtig spannend zu sehen, dass der Kaffeeanbau in Brasilien durch die Technologie und Wissenschaft optimiert wird und dass die jungen Generationen viel experimentieren und entwickeln.
Nach dem Besuch in Sítio Barba Negra und dem Mittagsessen in Poço Fundo haben wir ein bisschen Zeit zusammen mit Maria, Paula und Fran. Sie sitzen in einem Büro auf dem Hof der Kooperative und empfangen häufig Produzent*innen, die ihre Kaffees verkaufen (oder vielleicht nicht verkaufen) wollen. In diesem Raum ist ein großer Bildschirm, der die aktuellen und zukünftigen NYC Preise zeigt und auch den aktuellen und zukünftigen Dollarkurs.
Die Produzent*innen können entscheiden ob sie den Kaffee:
A. Jetzt verkaufen wollen
B. Später mit einem noch offenen Preis
C. Später mit einem fixierten Preis (fixiert auf Basis der Tabellen, die auf dem Bildschirm gezeigt werden)
Es ist aber nicht so, dass sie dort den Kaffee hinbrigen und gegebenenfalls wieder nach Hause mitnehmen müssen. Die Kaffees werden direkt in die Verarbeitungs- und Lagerhallen gebracht. Kaffees die dort eingebracht werden, sind aber nicht unbedingt schon an die Kooperative verkauft.
Die Produzent*nnen können entscheiden, wann sie die Preisen fixieren wollen. Sie können auch z.B. nur ein Teil der Ernte sofort verkaufen und mit dem Rest der Ernte noch warten.
Manchmal kommen die Mitglieder dorthin und bitten um Beratung, denn sie können eingentlich von Zuhause auch per Telefon, Whatsapp, Telegram oder E-mail die Preise fixieren. Fran und Maria erzählen, dass häufig Leute vorbeikommen, um einfach ein bisschen zu quatschen, denn hier in Poço Fundo läuft das Leben so.

EXKURS: Rösterei der COOPFAM

Die interne Rösterei von COOPFAM macht tolle Arbeit:

Es gibt eine 5kg-Atilla-Röstmaschine, auf der Microlots für den Verkauf und Röstungen für den eigenen Bedarf von Cooperad@s geröstet werden.
Die Röstungen werden mit Artisan getrackt und im COOPFAM-eigenen System erfasst, auf dem der Wartungsplan, die Warenflusserfassung und Teile der Kalkulation basieren. Sie messen die Feuchtigkeit und die Aktron (also die Farbe). Grundsätzlich sind die "klassischen" Kaffees weniger dunkel geröstet als bei uns, eher Medium-Light.
Das Herzstück der Produktion bildet ein 60kg Carmomaq, direktbefeuert und mit obligatorischem Nachbrenner. Damit rösten sie ungefähr 20-23 Säcke pro Tag, die über einen Trichter mit kleiner Hebebühne für verbesserte Ergonomie beim Einfüllen, direkt in den Hopper des Carmomaq gesaugt werden.
Aus dem Kühlsieb wird der Kaffee entweder in ein 20Säcke-fassendes Silo, das den Kaffee für die Mahlware hält, oder an eine semimanuelle Verpackungsmaschine für Bohnen geleitet.
Der Kaffee für die gemahlenen Päckchen wird über eine Förderschnecke in die Mühle befördert. Dann wird er über Rohre in die Hopper der Schlauchbeutelmaschinen gesaugt, wo der Kaffee gewogen und in 500g Schlauchbeutel gefüllt wird. Diese werden verschweisst und abgeschnitten. Wie bei Quijote Kaffee, nur dass wir die Bohnen natürlich nicht mahlen.
Von jeder gerösteten Charge wird ein Sample gezogen und 1 Jahr aufbewahrt. Falls es Beschwerden geben sollte, kann so die Probe konsultiert werden.

Generell sind die Verpackungseinheiten:
250g - Microlots und Spezialitäten
500g - Spezialitäten, Standards und Mahlware
1000g - Spezialitäten und Standards
5000g - Spezialitäten und Standarts
Es arbeiten insgesamt 5 Leute in der Produktion und immer 2/3 auf einmal. Einer beim Rösten einer bei der Verpackung und einer, der den anderen zuarbeitet.
Wir können viel von dieser Produktion lernen und sie von uns. Der Austausch unter Kooperativen Röstereien vorallem über Ländergrenzen hinweg wird enorm nützlich und lehrreich für alle Beteiligten sein.