Honduras 2024


Auf der Suche nach Pferde

Samstag, abgesehen von etwas Arbeit am Computer steht heute nichts an.
Wie jeden Tag wartete auf mich der Genuss eines großartigen Frühstücks bei der Mutter eines guten Freundes: Bohnen, Rührei mit Tomate und Basilikum, Avocado, „queso“, „mantequilla“ und warme Tortillas.
Um 8:00 Uhr holte mich Lennon vom Hotel ab, 10 Minuten später saß ich schon auf dem Holzhocker in der kleinen Küche im Haus von Lennons Mutter. Auf dem alten Holzofen standen die Bohnen bereit, auf einem kleines separaten Gaskochfeld wurde Rührei frisch zubereitet.
Es gab zwei kleine Fenster ohne Scheiben, dafür mit rosafarbener Spitzengardine und eine schmale, leicht angeknackste Tür aus Holzbrettern, alles stand offen, in der Hoffnung auf etwas Kühle im Haus. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Dazu gab es Kaffee aus der Thermoskanne.
Lennons Mutter bereitet jeden Tag die Mahlzeiten für mindestens 8 Personen zu, jede*r kommt und geht zu unterschiedlichen Zeiten, eine Thermoskanne erleichtert den Alltag immens.
Oft sind sogar zwei gefüllt. Der jüngste Enkel ist 10 und trinkt mittlerweile auch Kaffee, Nachbar*innen, Freund*innen kommen und gehen, oft auf einen Kaffee und gerne auch noch auf eine Baleada.
Mit dem Rücken an die kühle Steinwand gelehnt, trank ich meine zweite Tasse Kaffee aus, mein Teller sah aus wie unbenutzt, keinen Krümmel dieses Essens würde ich je verschwenden.
Jetzt war ich bereit in den Tag zu starten.
Lennon brachte mich zurück ins Hotel, ich arbeitete etwas am Computer und „chillte“ mit etwas Netflix. Zwei-, dreimal schaltete ich die Klimaanlage an, um das Zimmer mit viel Lärmbegleitung ein paar Grad runter zu kühlen.
Gegen zwölf Uhr mittags holte mich Liliana ab, begleitet von einem sehr aufgeweckten 8-jährigen Jungen von Freunden. Der, wie ich später erfahren sollte, auf die Schule der COMSA geht. Der dort angebotene Japanisch-Unterricht hat noch nicht mehr gebracht als „Kon'nichiwa“, aber schon jetzt ist der Junge unglaublich gut im Kopfrechnen von hohen zweistelligen Zahlen, selbstsicher und wortgewandt. Beeindruckend.
In den letzten Tagen hatte ich schon mehrfach mit Liliana über die Entwicklung der Situation der Kinder hier vor Ort geredet. Wie vermutlich überall gibt es zig verschiedene Szenarien, doch eine Vielzahl an Kinder lebt auch in jungen Jahren bei den Großeltern oder Freund*innen, weil beide Elternteile außerhalb des Ortes oder des Landes arbeiten.
Wie in Deutschland ist auch hier am 12. Mai Muttertag, Restaurant, Cafes, Hotels sind geschmückt mit Ballons und Girlanden aus Herzen. Manchmal als einfache Fensterdekoration, ein andermal als Hintergrund für Fotos für WhatsApp und Co. Rot und Rosa bestimmten aktuell die Farbwelt hier. Gleichzeitig haben sich einige Schulen angepasst, traditionell gibt es Tanz und Gesangsaufführungen zu solchen Anlässen, weil viele Kinder ihre Mutter an diesem Tag nicht sehen können wurde der Tag teilweise umbenannt in „Familientag“.
Heute war eine große Fiesta geplant mit Essen, einer Parade von Pferden und Reitern und einigen weiteren Pferde-Highlights. Das war unser Ziel heute. Der Anlass für die Feier ist ein trauriger. Vor wenigen Wochen war plötzlich der erst 46-jährige Bürgermeister von Marcala kurze Zeit nach seiner Krebsdiagnose verstorben. Ihm zu Ehren sollten die Pferde heute „tanzen“, bunt geschmückt und mit festlich gekleideten Reitern. Pferde, Reiter und Gäste aus vielen Gemeinden, teilweise sogar von außerhalb Marcala haben sich angekündigt.
Der Ort dieser Fiesta lag auf einem Plateau, auf dem einer der besten Produzenten ein eigenes kleines Beneficio hat: Oscar Omar Alonzo hat sein Grundstück für diese Feier zur Verfügung gestellt. Quijote ist schon oft in den Genuss gekommen, Microlots von Oscar anbieten zu können.
Der Ort ist ein schöner und etwas unwirklich wirkender Ort, er liegt abgelegen und erst dank Oscar gibt es für die kleine Gemeinde in der Nähe Elektrizität. Ein riesiger Wassertank versorgt Oscars Beneficio und auch weite Teile der umliegenden Flächen mit Wasser.
Ich war erst zweimal dort und irgendwie ist es für mich wie ein Mix aus Mondlandschaft und Wüste, umringt von einigen dürren, einzelnstehenden Bäumchen.
Liliana war auch nur selten da und so gelangten wir ziemlich schnell an eine Weggabelung, die sich in einen staubigen, holprigen Weg nach links und einen nach rechts teilte.
Und wir wussten beide nicht, welcher Weg zu den Pferden und der Fiesta führen würde.
Wir grinsten uns an und fuhren nach links. Unser junger Begleiter fragte warum wir diesen Weg nehmen wollen. Ich antwortete ihm, wir wissen es nicht und die Chance, dass dieser Weg der Richtige ist, liegt bei 50%. Und 50% ist ziemlich viel. Wie sich rausstellte hatten wir gut gewählt, einige Kurven weiter konnte wir in der Ferne das Plateau sehen.
Verwirrend war nur: Wir sahen keine Autos, keine Pferde und keine anderen Leute. In Kombination mit der Tatsache, dass wir auf ein Plateau blickten, waren die Fakten ziemlich klar, aber wir fuhren weiter. Parallel versuchte Liliana zwei, drei Freunde anzurufen, um zu klären, was los wäre. Einen Tag zuvor war der Termin mit 9:00 Uhr angekündigt worden, am gleichen Tag etwas später hieß es 12:00 Uhr, jetzt war es fast 13:00 Uhr und mittlerweile standen wir direkt auf dem Plateau.
„Hier sind keine Pferde.“ wurde sachlich von der Rückbank kommentiert, dem konnten wir nur lachend zu stimmen. Feiern und Verabredungen können flexibel gehandhabt werden hier, das ist nichts Neues. Aber in dieser Leere war es ein neues Level. Es gab nichts und es schien auch noch gar nichts vorbereitet zu sein.
Wir fuhren einige Meter weiter auf dem Plateau, auf einmal konnten wir vor uns auf dem Boden „Bienvenidos“ lesen. Das Wort war mit gelber Farbe auf den sandigen Boden gesprüht worden. Und wie in einem Western wirbelte etwas Staub auf und verdeckte einige Teile der Buchstaben. Ich bin mir so sicher, gleich würde auch noch ein vertrockneter Steppenläufer über die Ebene wehen. Das blieb jedoch aus.

In einer schattigen Ecke im Beneficio (gekachelte Becken und kleines Häuschen mit Büro und Verkostungslabor) von Oscar entdeckte ich einen Mann, der auf seinem weißen Plastikstuhl zu schlafen schien. Wir fuhren die paar Meter weiter, Austeigen erschien uns unnötig. Wir öffneten das Fenster und nach einigen vergeblichen Rufen, blickte der Mann unter dem Sombrero hoch. Er meinte, die Fiesta würde um 14:00 Uhr beginnen.
Wir bedankten uns und schlossen das Fenster. Kaum war das Fenster geschlossen, hatte auch einer der Anrufversuche Erfolg. Oscars Sohn meldete sich. Per Lautsprecher erfuhren wir, dass die Fiesta um 15:00 Uhr losgehen sollte oder um 15:30 Uhr. Wir schilderten kurz unseren Eindruck und gaben unsere zuletzt aktualisierte Anfangszeit zum Besten und dann kicherten wir eigentlich nur noch rum.
Nach dem Anruf entschieden wir uns das Plateau hinter uns zu lassen und zurückzufahren und den Ausflug mit einem Mittagessen und einem kühlen Getränk zu krönen. Auf dem Rückweg bogen wir noch zweimal verkehrt ab, aber schon bald hatten wir wieder Asphalt unter den Rädern.
Auf einmal tauchten am Straßenrand 3 Pferde und 3 Männer auf, daneben 2 Transporter. Die Pferde wurden gerade „abgestaubt“, was bei dem Anblick der offenen Transporter nur zu verständlich war. Immerhin, wir hatten 3 Pferde gesehen. Ob diese wirklich letztendlich an der Fiesta teilnehmen sollten oder nicht, blieb ein Geheimnis. Im Restaurant angekommen, fanden wir uns schnell in guter Gesellschaft wieder. Ein Kaffeeproduzent mit seinen zwei Söhnen, ein Restaurantbesitzer mit seiner Tochter und der Chef vom Beneficio Seco Comsa waren ebenfalls auf der Suche nach den Pferden hier gelandet. Allesamt Freund*innen von Liliana.
Zu acht genossen wir den kühlen Raum und teilten uns Teller voller leckerem Essen. Wir blieben fast zwei Stunden. Nach dem Essen verteilten wir uns in der gerade aktuellen Gesprächsrunde auf die Autos und fuhren 5 Minuten weiter zum Haus des Kaffeeproduzenten Pedro.
Bei Pedro angekommen, breitete er vor uns alles auf dem Küchentresen auf, was die hippesten Cafes zur Kaffeezubereitung in Europa im Angebot haben. Abgerundet wurde das Ganze von einem kleinen 1 kg-Röster in der Küche. Alles hier ist auf die Zubereitung auf Kaffee ausgerichtet. Innerhalb von einer halben Stunde hatten wir 3 verschiedene Kaffees getrunken: einen herrlich fruchtigen und lebendigen Typica, einen atemberaubend komplexen Geisha und einen 300 Tage fermentierten Catuai, der anders war als alles, was ich zuvor als Kaffee kannte. Die Aromen, die Textur, alles war anders, ein wenig wie ein Mix aus Sherry und Whiskey mit Kaffee. Einfach anders.
Pedro berichtete von seinem 300 Tage Experiment und strahlte über das ganze Gesicht, als er die Details für die letztendlich 12 Säcke erzählte. Als noch ein Nachbar dazukam und Wein aufgemacht werden sollten, verabschiedeten wir uns. Liliana war genauso wenig nach Wein zu Mute, wie mir.
Der Kaffee hatte meinen Kreislauf wieder etwas in Schwung gebracht, Wein hätte dies vermutlich schnell wieder beendet. Wir hatten Pferde gesucht und eine Fiesta, wir hatten keine Pferde gefunden, stattdessen Stunden mit viel Lachen und beste Gesellschaft.
Zum Abschied bat ich Liliana auf dem Weg nach Hause nach den Pferden Ausschau zu halten, zuversichtlich und kichernd stimmte sie zu. Wir umarmten uns und ich ging die paar Stufen zur Hoteltür hoch und klopfte an.  
Die Hotel-Besitzerin öffnete, wir unterhielten uns kurz und sie meinte, sie hätte gehört die Pferde-Fiesta würde um 17:00 Uhr beginnen.
Sie würde stattfinden, daran habe ich keinen Zweifel.

Pedro bei der Kaffeezubereitung.