Nachdem die bisherigen Tage ja überwiegend aus Reiseberichten bestanden, ging es zum Wochenbeginn nun endlich das erste Mal wirklich um Kaffee.
Und mein Start in die Kaffeewelt hätte nicht viel extremer ausfallen können.
Nach einem exqusiten Frühstück bei Grace ging es mit dem Auto zu einem Farmer bzw. einer Farmergemeinschaft, mit der Organic Wayanad im Rahmen eines Projektes erst seit 2016 zusammenarbeitet.
Die Besonderheit dieser Farmer ist, dass es sich hierbei um sogenannte Tribals handelt. Unter dem Sammelbegriff Adhivasi sind hier 36 Communities von indigenen Ureinwohnern der hiesigen Region zusammen gefaßt, die ursprünglich als Nomaden durch die Wälder zogen und sich dort selbst versorgten.
Diese Communities oder Tribals leben auch heute noch mitten im Wald, sind aber seit knapp zwei oder drei Generationen langsam seßhaft geworden und gingen seitdem hauptsächlich auf örtlichen und häufig staatlichen Plantagen des Department of Forest einer Lohnarbeit nach.
Im Jahr 2003 kam es in Indien landesweit zu Aufständen und Streiks der Tribals, weil diese sich ausgebeutet fühlten und mehr an den Erträgen ihrer Arbeit partizipieren wollten.
Diese Streiks mündeten teilweise in Landbesetzungen durch die indigenen Gruppen.
Die Regierung beendete diese Besetzungen der Platagen zum Teil gewaltsam und unter Einsatz von Schusswaffen, es kam zu mehreren Todesfällen.
Dieser Widerstandskampf zog sich immerhin über knapp sechs Jahre hin, bis die Regierung entschied, die Situatin zu befrieden und den Tribals Land zu übereignen.
Im Jahr 2009 kam es zu ersten urkundlichen Überschreibungen von ehemals staatlichen Waldgebieten an die indigenen Communities.
Diese Vertraege waren allerdings mit einigen Klauseln versehen: Das Land gehörte nun den Tribals, aber die darauf stehenden Bäume gehören weiterhin der Regierung.
Kein Baum darf gefällt werden. Mit dieser Klausel soll ein nachhaltiger Schutz der Natur sichergestellt und verhindert werden, dass Teile des Waldes als Bau- oder Heizmaterial verwendet werden.
Das Land darf ausserdem nur innerhalb der Communites weitervererbt werden, ein Verkauf ist vertraglich ausgeschloßen.
Nach etwa 25 Minuten Fahrt auf immer enger werdenden Strassen, die uns immer tiefer in den Wald führten kamen wir schliesslich vor einem erstaunlich modernen, kurz vor der Fertigstellung stehenden Haus mitten im Wald an. Dort trafen wir einige Vertreter der Kattunaika, eine der 36 örtlichen Tribal Communities.
Wir setzten uns im Kreis draußen vor das Haus und diese stellten uns das Projekt vor. George fungierte hierbei als Übersetzer.
32 Familien der Kattunaika nehmen derzeit am Bio-Zerifizierungsverfahren teil und werden dabei seit dem letzten Jahr von Organic Wayanad beratend begleitet.
Dieses Zertifikat ist die Voraussetzung, um bei der Kooperative Mitglied werden und den Kaffee dort absetzen zu koennen. Der Zertifizierungsvorgang dauert ingesamt drei Jahre. Aufgrund ihrer frÜheren Tradition als Selbstversorger im Wald sind die meisten Tribals mit der Kultivierung von Kaffee bereits vertraut und arbeiten per se schon Bio.
Ziel ist, dass die Familien mit der landwirtschaftlichen Arbeit zukÜnftig ihren Lebensunter-
halt bestreiten können und diese nicht nur im Nebenerwerb betreiben.
Bisher läuft der Verkauf von Kaffee durch die Tribals häufig so, dass eine bestimmte Fläche oder bestimmte Bäume an einen fremden Käufer veräußert werden.
Dieser kann dann nach eigenem Belieben auf das Grundstück kommen und den Kaffee abernten.
Ein zentraler Anreiz, den Kaffee nicht über den örtlichen Markt, sondern an Organic Wayanad zu verkaufen ist - abgesehen vom nachhaltig-biologischen Aspekt - der im Vergleich zum lokalen Markt höhere Preis.
Um dieses Projekt zu fördern, bekommen die Familien von der Regierung jeweils ein Startkapital von 350.000 Rupien, das sind umgerechnet knapp 4.700 Euro.
Dieses Geld ist allerdings nicht zweckgebunden was in einigen Faellen dazu führt, dass es von den Familien nicht oder nur zeitversetzt in die Infrastruktur investiert wird.
Das wirklich moderne Haus vor dem wir hier saßen ist bereits seit drei Jahren im Bau aber immer noch nicht fertig gestellt, weil die Familie das Geld für die traditionelle und finanziell sehr aufwendige Aussteuer bei der Hochzeit der Tochter zurücklegen musste. Andere Familien investieren die finanziellen Mittel zu einem Großteil in die weiterbildende schulische Ausbildung ihrer Kinder. Die meisten Banken gewähren den Tribals keine Kredite, da ihr Landeigentum aufgrund der Unverkäuflichkeitsklausel nicht als Sicherheit anerkannt wird.
Im Anschluss an die Gesprächsrunde, zu der sich im Lauf der halben Stunde immer mehr und mehr neugierige Familienmitglieder aller Altersstufen als Beobachter dazugesellten, machten wir einen Rundgang über das Gelände.
Die Robustapflanzen machten insgesamt einen guten und gesunden Eindruck. Die Pflanzen wachsen hier in bis zu 75% im Schatten.
Der Bewuchs mit den verschiedenen Pflanzen war zum Teil dschungelartig und wenn man für ein Foto stehen blieb und den Anschluss an die Gruppe etwas verloren hatte, mußte man sich seinen Weg durchs Dickicht bahnen und nach Gehör wieder aufschließen.
Ein Problem, von dem später auch andere Farmer berichteten, ist der Schaden, welchen die hier wild lebenden Elefanten anrichten. Diese kommen meist in der Dämmerung auf die Felder und sind aufgrund ihrer Größe mühelos in der Lage, ganze Palmenstämme umzuknicken wie Strohhalme.
Bei unserem Rundgang sahen wir eine Palme, die vor kurzem von einem Elefanten komplett zerstört wurde. Die Dickhaeuter fressen unter anderem auch Kaffeepflanzen und sind in der Lage massiven finanziellen Schaden anzurichten.
Im Gegensatz zu Grossfarmen oder Plantagen, die häufig auf riesigen Flächen z,B. nur Tee oder nur Kaffee anbauen, sind die Farmer von Organic Wayanad alle sehr breit aufgestellt und kultivieren eine Vielzahl an Nutzpflanzen. Jeder Bauer den wir besucht haben hatte mindestens zehn bis fünfzehn, viele sogar weitaus mehr verschiedene Früchte, Gewürze, Gemüse oder Heilkräuter im organischen Anbau.
Das schafft zum einen Unabhängigkeit und Flexibilität, falls es aufgrund äußeren Einflüssen zu Einbussen bei bestimmten Ernten oder gar kompletten Ernteausfällen kommt.
Zum anderen wird so ein natürliches Gleichgewicht gefördert, in dem sich vieles von alleine und nachhaltig reguliert. Kein Farmer bei Organic Wayanad wird in existenzielle Not kommen wenn z.B. aufgrund des geringeren Regens im Monsun die Kaffeeernte geringer ausfällt, weil dies durch andere Produkte in der Regel kompensiert werden kann.
Für alle Farmer obligatorsch ist übrigens das zusätzliche Halten von Vieh, meistens ein paar Kühe, Ziegen und Hühner. Es gab keine Farm in der das nicht der Fall war. Dieser vielfältige Anbau bestätigte sich auch bei diesem Rundgang, denn wir sahen unter anderem Pfeffer, Kakao, Kokosnüsse, Bananen, Papaya, Chilis und einige andere Dinge mehr.
Im weiteren Verlauf des Vormittags besuchten wir dann weitere Familien der Kattunaika, welche in extrem ärmlichen Verhältnissen im Wald leben. Das Haus vom Anfang war also kein Massstab für die wirklichen Lebensverhältnisse hier.
Viele Familien waren gerade dabei, ihre Hütten durch gemauerte Anbauten zu erweitern oder neue wenn auch simple Gebäude zu errichten.
In einem Fall wurden die für den Bau verwendeten Ziegel in einem Ofen selber gebrannt. Das hierfür nötige Material stammte aus dem Boden direkt neben der Hütte.
Nach einem intensiven Vormittag kehrten wir zum Lunch zur Kooperative zurück.
Nachmittags besuchten wir einen weiteren Farmer, dessen Grundstück und Lebensverhältnisse im krassen Gegensatz zu dem Besuch bei den Tribals stand.
Wir besichtigten die Farm Naovoz Estate von Yazdi Palia. Hierbei handelt es sich um ein riesiges, 40 acres grosses Areal, welches er zusammen mit seinem Bruder bewirtschaftet.
Bei all unseren Besuchen luden uns die Farmer übrigens entweder gleich zu Beginn oder aber nach dem Rundgang in ihr Haus ein, in einigen Faellen auch beides. Dort gab es oft ein Getränk oder einen kleinen Snack und eine Vorstellungsrunde sowie erste Erläuterungen zur Farm. Auffällig war der Stolz und die innere Überzeugung, mit der die besuchten Bauern nicht nur ihre Farmen kultivieren, sondern mit Herzblut auch die Idee des organischen Anbaus umsetzen und leben.
Yazdy Palia ist ein sehr reflektierter und gebildeter Mann, der uns viel über die Philosophie des organischen Anbaus und seine Einstellung zu dem Thema mitteilte.
Sein Vater war 1927 nach Wayanad gekommen und hatte die Farm dort etabiert. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Region nur Wald und kaum Siedungen geschweige denn Kaffee. Die Begeisterung in der Landwirtschaft und als Kaffeebauer zu arbeiten, muss seiner Meinung nach am besten von den Eltern kommen.
Beim Rundgang über die Farm von Herrn Palia zeigte sich gleich, dass diese eine völlig andere Charakteristik hatte. Die Robustapflanzen standen eher geordnet unter den Schattenbaeumen, das ganze war etwas lichter und nicht so dschungelartig wie bei den am Vormittag besuchten Tribals.
Die Ernte war hier allerdings gerade abgeschlossen, so dass wir keine Kirschen mehr an Bäumen sahen. Die Robustapflanzen auf dieser Farm waren zum Teil bereits 45 Jahre als, einige sogar 75 Jahre und tragen immer noch Kirschen. Das liegt nch seiner Einschätzung zum einen am vielen Schatten und zum anderen am organischen Anbau.
Aktuell wurde auf der Farm gerade mit der Anpflanzung junger Kaffeepflanzen begonnen. Der Verbiss durch Wildtiere ist allerdings ein grosses Problem, vor allem Hirsche fressen die neuen Setzlinge weg. Aus diesem Grund wurden an vielen Bäumen Plastikflaschen mit Pinky Water befestigt, welche die Tiere abschrecken sollen. Pinky Water ist Wasser, dass sich durch den Zusatz einer bestimmten Holzart pink verfärbt und körperreinigende Wirkung hat.
Ich werde eine Probe davon mit zu Quijote bringen. Gegen die Elefanten, die auch hier jeden Abend auf die Farm kommen helfen aber nicht einmal die elektrischen Zäune rund um die Farm etwas, geschweige denn Pinky Water. Zumindest nicht wenn der Strom temporär ausfällt, was hier durchaus öfter vorkommen kann.
Auf unserem Rundgang konnten wir selbst als ungeübte Beobachter zahlreiche Spuren der nächtlichen Besuche erkennen. Eine halb durchgebissenen Palme in ca. drei Metern Höhe spricht zumindest fuer sich. B
egegnungen mit Elefanten sind übrigens nicht ungefährlich. Da die Tiere nur sehr schlecht sehen, verlassen sie sich auf ihr Gehör und ihren ausgezeichneten Geruchssinn.
Meine Frage, wie ich mich denn im Falle einer Begegnung mit einem Elefanten am besten Verhalten solle wurde von Yazdy beantwortet mit “Just hope he doesn’t smell you. If he smells you, hope you’re not too close to him and run. If you are too close you don’t need to run because he will be faster and then you’re in serious trouble”.
Und der Mann wusste wovon er sprach, denn wie er berichtete wurde er auf der Fahrt durch den Wald in den nächsten Ort auf seinem Motorrad schon des öfteren von wütenden Elefanten verfolgt als diese die Strasse kreuzten.
In der Folge bekamen wir noch eine kleinen Aufzählung der Tiere, die sich sonst noch so auf der Farm tummeln, u.a. Leoparden, Adler, Rieseneichhoernchen und etwas seltener auch Tiger.
Letztes Jahr hatte ein Tiger nachts einen Elefanten angefallen, worauf dieser in Panik geriet und das geschlossene Einfahrtstor zur Farm niedertrampelte.
Im weiteren Verlauf des Rundgangs erreichten wir dann schließlich den riesigen Trocknungsplatz und die Verarbeitungshalle. Yazdi beliefert mit seiner diesjährigen Ernte zum ersten Mal Organic Wayanad. Als wir die Halle betraten waren zwei seiner Arbeiter gerade dabei, die Säcke mit den frisch geernteten Kaffeekirschen für die Vorselektion auszubreiten und alle grünen Kirschen von Hand auszusortieren.
Für einen Sack mit 50 Kilogramm benötigen zwei geübte Helfer normalerweise ein halbe Stunde. Wir nutzten die Gelegenheit, uns dazu zu setzen und etwas mit anzupacken. Auf dieser Farm werden während der Ernte bis zu 30 Helfer beschäftigt.
Nach unserer Rückkehr in Vanamoolika nutzten wir die Zeit vor dem Dinner und sahen uns die Verarbeitungsstation der Kooperative an. Bis zu unserem Engagement wurde der Kaffee bei Organic Wayanad nicht gewaschen, sondern wie für Robusta üblich einfach unselektiert in die Sonne gelegt und dort getrocknet. Das Resultat dieses hier sundried genannten Prozesses entspricht allerdings nicht der Qualität, die wir in der Spezialitaetenkaffeebranche benötigen.
Aus diesem Grund wurde und wird der Kaffee den wir hier kaufen vor der Lieferung zur Kooperative erst einmal durch die Bauern – wie weiter oben beschrieben - vorselektiert. Wenn die Bauern Säcke mit zu vielen grünen Kirschen abliefern wird die Annahme verweigert und die Bauern müssen den Kaffee wieder mitnehmen.
Die für den gewaschenen Verarbeitungsprozess notwenigen Maschinen (Entpulper und Waschautomat) wurden vor vier Jahren neu angeschafft und von uns im Rahmen der Vorfinanzierung mit bezahlt.
Mittlerweile stehen die Maschinen unter einem neu gebauten Dach. Zur Zeit gibt es allerdings leichte Problem mit dem Entpulper, da einige Bohnen beschädigt werden und beim Waschvorgang kaputt brechen.
Die Kooperative spielt momentan mit dem Gedanken, eine neue Maschine anzuschaffen, die beide Arbeitsschritte (entpulpen und waschen) zusammen erledigen kann. Außerdem hätte diese Maschine eine größere Kapazität. Die Kooperative erhofft sich dadurch zum einen das Problem mit den kaputten Bohnen in den Griff zu bekommen und zum anderen durch die erhöhte Kapazität und Arbeitsgeschwindigkeit zukünftig schneller und effizienter arbeiten zu können.
Begründet wird diese Anschaffung auch mit der steigenden Menge an gewaschenem Kaffee der dort verarbeitet wird. Das Volumen unseres gemeinsamen Imports mit Elephant Beans hat sich im Vergleich zur letzten Ernte von 2016 von 136 Sack auf voraussichtlich 150 Sack und einer möglichen Erweiterung um 100 Sack, also gesamt 250 Sack mehr als verdoppelt.
Bis vor zwei Jahren wurde der Kaffee nach dem Waschen noch auf dem Dach des Kooperativengebaeudes in der prallen Sonne getrocknet. Seit dem letzten Jahr gibt es ein neu errichtetes Trocknungszelt, in dem der Kaffee nach einem Tag an der Sonne langsam weiter heruntergetrocknet wird.
Die letztjährig verwendeten Trocknungsreste aus Metall haben sich nicht bewährt, da der Kaffee trotz Zelt viel zu schnell trocknete. In diesem Jahr wird der Kaffee auf dem Boden getrocknet und das Zelt mit einem Netz abgehängt.
Die Temperatur im Zelt ist auf diese Weise immerhin deutlich niedriger als die Aussentemperatur.
Es ist schön zu sehen, dass wir hier zusammen mit den Kollegen weiter an Verbesserungen arbeiten.
Beispiele wie diese unterstreichen einfach noch einmal wie wichtig und sinnvoll unsere Usprungsreisen sind, denn manche Dinge lassen sich vor Ort einfach sehr viel schneller erkennen und unkomplizierter regeln als per E-Mail oder am Telefon.