Tag 4 Guatemala (22.10.2016)


Nach 10 Stunden Schlaf kann ich mich schweren Herzens von meinem Schlafsack trennen. Nachts ist es einfach traumhaft ruhig. Die paar Autos die sich Nachts auf die unwegsame Strasse vor Genaros Haus in Corral Grande trauen, kann man an einer Hand abzählen.

 

Und das Geschrei der Hähne gehört für mich einfach dazu, davon werde ich nicht wirklich wach. Im Gegensatz zu uns, die bis um 8:00 Uhr schlafen, sind Genaro und seine Familie schon seit 5:30 Uhr wach: die Kuh wurde gemolken, Futter für die Kühe geschnitten, mit Wasser versorgt (extrem steile Strecke, ca. 45 Minuten für Europäer – Farmer bekommen das auch in 15 bis 20 Minuten hin), der Ofen in der Küche ist geheizt, das Geschirr vom Abendessen abgewaschen, die Hühner wurden aus dem Gehegen gelassen und mit Mais gefüttert. Was man eben so machen muss, morgens auf dem Dorf.

 

Mittlerweile wissen wir, wenn wir ausschlafen sollen, dann machen wir das – bevor wir hilfreich wären im morgendlichen Ablauf vergehen mehr als 4 Tage und dass ist immer unsere Aufenthaltsdauer hier.

 

Zum Frühstück gibt es gefüllte Tamales, unsere Gastgeber wissen mittlerweile, dass wir absolut süchtig sind danach. Das heiße, wohlriechende Päckchen öffnen: Bananenblätter nach links und rechts wegknicken, dann sieht man den tollen Maisteig mit dampfender, aromatischer Soße, Gemüsestückchen, Pflaumen und Hühnerfleisch.
Dazu gibt es selbstgemachten Käse und Kaffee. Im Gegensatz zu Deutschland kann meine Konsum bzgl. Kaffee schon mal 10 grosse Tassen am Tag erreichen. Zum Frühstück gönne ich mir 3 Tassen. Im Ursprung, in einer urigen Küche mit Farmern am Tisch ist Kaffee für mich einfach perfekt.

Frühstück!

Das Treffen mit den Socios von APPAECE!

Heute wird der vielleicht wichtigste Tag der Reise in Guatemala, denn heute ist das Treffen mit den Socios von APPAECE. Die Fincas der einzelnen Sozios sind insgesamt auf 4 Orte aufgeteilt, die Strecken sind laut der Kilometer-Anzahl recht übersichtlich, die Wege sind jedoch zum Teil so unwegsam und es gibt insgesamt nur 4 Autos bei den Mitgliedern, dass die Anreise viel Zeit und Anstrengung bedeutet.

Immer mehr der Socios betreten den Patio von Genaro: Bonifacio, Victoriano, Agapito, Marcos, Luiz ….Viele mittlerweile liebgewonnene Gesichter und einige neue Socios. Insgesamt gibt es 28 Mitglieder bei der Kooperative APPAECE, einige jedoch produzieren zum Verkauf Avocados oder sind noch in der Umstellung für den BIO-Anbau.

 

18 Socios sind letztendlich gekommen zum heutigen Treffen.

Trauer um Don Ancelmo!

Leider wird sich ein Gesicht nie wieder zu dieser kleinen Runde einfinden: Don Ancelmo ist im Mai verstorben. Seine Finca ist eine der abgelegensten Überhaupt, die Finca selbst unbefahrbar mit einem Auto. Die Wege können per Fuss oder Maultier bewältigt werden. Er ist mit über 70 Jahren auf einen Baum geklettert, um ihn zu beschneiden, er stürzte und schlug auf einen Stein auf.

 

Da er alleinstehend war und zumeist alleine auf der Finca arbeitete, kam jede Hilfe zu spät für ihn.

 

Gerrit und ich waren beide zutiefst schockiert als wir im Mai davon erfuhren. Am gleichen Abend habe ich noch mit Genaro telefoniert um mein Beileid auszusprechen und das der anderen von Quijote, mein erster Anruf auf Spanisch. 2015 hatte Ancelmo bei dem Wettbewerb von Anacafe (Kaffeeverband Guatemala) noch die Auszeichnung für den besten Kaffee in der Region bekommen. Er war so stolz an diesem Tag und wir durften daran teilhaben. Vielleicht ist das auch ein Grund weshalb mir dieses Jahr der Kaffee von APPAECE besonders gut schmeckt, dies wird das letzte Mal sein, das Kaffee von Ancelmo in dem Blend der Kooperative ist.

 

Die Begrüßungsrunde fiel dieses Mal auch etwas anders aus als sonst. Ich habe noch einmal unser Beileid zum Tod von Ancelmo ausgesprochen, immer noch mit einem dicken Kloß im Hals.
Don Agapito einer der Ältesten (83 Jahre) und Gründer von APPAECE bedankte sich für die Beileidsbekundung und verkündete mir und Gerrit, dass er seine Plakette „1. Platz“ vom diesjährigen Wettbewerb von Anacafe Quijote schenkt, damit wir zeigen können, wie tollen Kaffee sie produzieren. Die Reihe der Gewinner reißt mit dem Tod von Don Ancelmo also nicht ab, sondern wird weiterführt.


Nach diesem sehr emotionalen Einstieg ging es recht schnell an das „Eingemachte“.

Die Ernte von 2017 stellt uns vor ungeahnte und bekannte Probleme und irgendwie müssen wir diese lösen....

1. Problem „Exporteure“

Wie schon angerissen, gibt es Informationen darüber, dass die Stadt einigen dieser Unternehmen Steuerhinterziehung vorwirft. Die Höhe dieser Summen geht in die Millionen. Das ist nicht unbedingt unüblich, vor einigen Jahren wurde ein Stahlunternehmen dessen beschuldigt, alles konfizsiert und 100 Millionen festgesetzt. Das Unternehmen war damit handlungsunfähig, der einzige Ausweg war, die Schulden zu zahlen und innerhalb von einer Woche ging die Arbeit und die „vermutliche Betrügerei“ weiter. Seit unserer ersten Reise hierher, bzw. bei Gerrit schon zuvor auf seinen Reisen, bestätigt sich immer wieder: die Ausmaße der Korruption in Guatemala sind gigantisch und absolut alltäglich.

 

Für uns bedeutet dies jedoch folgende Gefahr: Die Vorfinanzierung (normalerweise 60 % des Gesamtpreises, um die 57.456,00 US$) von Quijote über den Exporteur an APPAECE bei Vertragsabschluss, kann beschlagnahmt werden. Der Pergamino - oder der gerade verarbeitete Rohkaffee zum Export für Quijote und der beteiligten Co-Importeure kann beschlagnahmt werden. Oder aber der gepackte Container für Quijote mit 200 Kaffeesäcken von APPAECE kann beschlagnahmt werden.
Alles nicht gerade Optionen, die besonders verlockend sind, da das Einfrieren von Konten oder die Beschlagnahmung von Ware Tage oder Monate dauern kann und nicht immer damit endet, dass der Käufer oder Verkäufer sein eigentliches Eigentum erhält.

 

Die Beschaffung von Informationen beschäftigt Gerrit und mich schon seit Wochen, jedoch sind sie widersprüchlich, ungenau und nicht wirklich wasserdicht. Die Steuerbehörde „SAT“ in Guatemala, die Botschaft in Deutschland und Guatemala oder hochrangige Personen wie der Wirtschaftsattaché von Guatemala sind nicht gerade ein Quell an fundierten oder gar klaren Aussagen.

 

Wir haben diese Situation soweit es ging mit den vorhanden Informationen besprochen und uns gegenseitig Arbeitsaufträge (Quijote, Gerrit, APPAECE) erteilt. Da der Vertragsabschluss für Mitte November eigentlich gedacht ist, rinnt uns allerdings die Zeit durch die Finger.

Wir werden jedenfalls alles versuchen.

2. Problem „Qualitätssteigerung“

Wie bei jeder Zusammenarbeit möchten wir gemeinsam mit der Kooperative langfristig eine Verbesserung in der Tassenqualität erreichen. Da die Farmer im Durchschnitt bei APPAECE 62 Jahre alt sind, gestaltet sich Veränderung in den Arbeitsabläufen aber etwas schwieriger, als bei anderen Partnern von Quijote.
Wir haben nochmals die Abläufe der Ernte, Verarbeitung und Qualitätskontrolle (Einzelne Kaffeemuster der Socios vor dem Verschicken des Pergamin-Kaffee an den Exporteur für Quijote) detailliert durchgesprochen, die Kernpunkte zu einem guten Resultat aufgeschrieben und noch einmal besprochen.
Da ich dieses Mal die entsprechenden Listen auf das Papier geschrieben habe und mein Spanisch noch nicht wirklich sicher ist, dauerte es etwas länger, war dafür aber für alle Beteiligten auch intensiver. Und ich bin ins Schwitzen gekommen...
Auch hier haben wir uns auf einen zeitlich durchdeklinierten Arbeitsablauf geeinigt.

 

Gruppenfoto nach dem Essen
Gruppenfoto nach dem Essen

 

Insgesamt haben wir 3 Stunden über die beiden Themen gesprochen. Danach haben wir uns das köstliche Essen von „Mama Linda“ und Ihren fleißigen Helfern (Frauen, Töchter der Socios) schmecken lassen: Reis mit Gemüse, Bohnen und frittiertes Hühnchen, pikante Soße, Tortillas und für die ganz Harten Chilis aus dem Garten schmecken lassen. Dazu gab es frisch gemachte Limonade.

Im Anschluss haben wir noch jede Menge Fotos gemacht. Fotos sind sowohl in Guatemala, als auch bei vielen anderen Kaffeeländern so ein Ding...Die Farmer können die lustigsten und geselligsten Leute sein, sobald jedoch eine Kamera ins Spiel kommt, gib es kein Lächeln mehr, sondern nur versteinerte Mienen.

 

Mittlerweile sind alle diesbezüglich lockerer geworden und einige der Fotos sind so, dass ich sie im Sinne der Seriosität der Kooperative und Quijote nicht mehr online stelle, sondern sie nur intern zeige.

Sport am Nachmittag

Danach entwickelte der Tag sich zum Sport-Tag, besonders für Gerrit: Schwimmen, Canopy und Fussball.
Fazit davon: Gerrit hat sich erkältet, meine Hose hat einen ordentlichen Riss – linkes Knie Bluterguss und rechtes Knie eine Schürfwunde, für die die kleinen Pflaster in Guatemala nicht geeignet sind.

 

Erkenntnis für mich: Fußball schauen „ja“ - Fußball spielen „nein“ und Genaro übt sich in alternativer Heilkunde. Er hat die Schürfwunde mit einem warmen, bitteren Pflanzensaft betupft, der Entzündungen vorbeugen soll.


Kulinarischer Abschluss des Tages: Rüherei mit Würstchen, Tortillias und Bananen.

Die Gutenachtgeschichte

Achtung: Für alle Zartbeseiteten oder Vegetarier oder Veganer - es geht um die letzte Nacht eines Hahns und sein kulinarisches Ende...

Wie überall in den Kaffeeländern ist es ab 18:00 Uhr dunkel.

Nach dem Abendessen um 20:30 Uhr sind Galindo und Gerado, wie Max und Moritz im Auftrag von "Mama Linda" samt Taschenlampe auf den Baum im Hinterhof geklettert, auf dem sich die Hühner und der Hahn es sich zur Nachtruhe gemütlich gemacht haben. Ein Baum ist für das liebe Federvieh ein guter und ziemlich sicherer Schlafplatz.
Die beiden Brüder waren dieses Mal jedoch zum Leidwesen eines ca. 7 monatigen Hahns etwas schneller, als die eigenen Flügel.
Deshalb war die Nacht vom 22. auf den 23. Oktober die letzte Nacht des Schreihalses.

Er konnte bei Sonnenaufgang mit den anderen Hähnen des Dorfes noch um die Wette krähen.
Dank "Mama Linda" war der neue Platz des Hahns gegen 8:00 Uhr jedoch schon der Suppentopf und das Hackebeilchen hing wieder sauber an der Wand über dem Herd.

Zwei Tage nach seinem Ende sollte der Hahn uns noch in köstlicher Form begleiten - eine tolle Hühnersuppe und Tamales.